World of Warcraft als Wirtschaftssimulation

Das aktuelle Addon von World of Warcraft ist nun schon ein halbes Jahr alt und mittlerweile gibt es mehr als genug zu tun. Doch in meiner Elternzeit sah das noch anders aus. Die neuen Features überzeugten mich nicht, der Endgame-Content war entweder uninteressant oder schon absolviert und so herrschte eine gewisse Langeweile bei mir. War ich zu alt für ein MMORPG? Oder schon zu lange bei WoW dabei? Oder hatten sich die Entwickler, die ich so sehr schätzte, verändert? War dieses Addon nur ein Ausrutscher oder steht mir in Zukunft jedes Mal solch ein Erlebnis bevor? Fragen, die mir durch den Kopf schossen, während ich meine tägliche Routine im Spiel absolvierte und dabei über Youtube im Hintergrund einen Stream mit genau diesem Thema verfolgte. Dieser war irgendwann vorbei und es folgte das nächste Video über die automatische Wiedergabe. Ein mir unbekannter Youtuber lud mich zu einem "Fachvortrag in Sachen Goldmaking in der World of Warcraft" ein. Warte, was? Fachvortrag, dass klingt ja ziemlich trocken. Per Tastendruck wechselte ich zu Youtube und sah den Mann. Ein Youtuber in Hemd und Krawatte. Das war mal was neues! Er hatte seinen Vortrag verschriftlicht und daraus bestand das Video: Text. Ich schaute auf die Zeit: 3 Stunden. Warte, wat?! Der redet jetzt 3 Stunden übers Goldverdienen? Mein Interesse war geweckt.
Ich skippte mich ein wenig durch das Video, übersprang die Grundlagen und pickte mir einige Passagen heraus. Dabei fiel mir auf, dass der Kerl sehr kompetent wirkte. Was so ein Hemd alles bewirken kann! Was er sagte, hatte aber wirklich Hand und Fuß, daran bestand kein Zweifel. Also schaute ich mir einige weitere Videos von ihm an, viele kürzere, aber auch einige lange wie ein 7 Stunden langer Community-Talk oder ein Interview mit anderen Goldverrückten. Da wurde mir bewusst, dass dies eine völlig andere Art des Spielens ist. Er und seine Interviewgäste spielen zum Teil das aktuelle Spiel gar nicht wirklich. Er steht die meiste Zeit im Auktionshaus und überwacht seine Auktionen. Das wäre nun nicht wirklich meins, doch einige seiner Praktiken und Überlegungen wären für mich schon interessant. Ungefähr eine Woche lang schaute ich abends beim Daddeln seine Videos, bis ich voll in der Materie drin war. "Kenne deine Möglichkeiten" sagte er immer. Es war klar, dass Auktionshaushandel im großen Stil für mich nicht umsetzbar war, denn dazu braucht man Zeit und steht nur rum. Dafür zahle ich keine Abogebühren (was ich im übrigen auch nicht müsste wenn ich ein erfolgreicher Händler bin, denn Spielzeit gibt es auch über Gold). Doch die abgeschwächte Variante ist für mich umsetzbar. Bisher habe ich mein Gold vor allem durch Questbelohnungen oder Missionen gemacht. Etwas billig kaufen und teuer verkaufen, dass ist aber das Kerngeschäft eines Händlers. Bisher hatte ich damit allerdings wenig Erfolg, meist blieb ich auf den Dingen sitzen und mied dann ein paar Monate das Auktionshaus. Doch da half mir mein Finanzexperte. Denn wenn sich der Gegenstand nicht verkauft, ist das Gold trotzdem nicht verloren. Es ist nur in diesem Gegenstand gebunden. Irgendwann kauft es jemand.
"Kenne deine Möglichkeiten" beinhaltet auch die Berufe, die ich immer sehr vernachlässigt habe. So zeigte er mir auf, wie wichtig es ist, die Produktionswege zu kennen. Kauft man alle Barren eines bestimmten Metalls aus dem Autionshaus raus und stellt sie für einen eigenen, höheren Preis wieder rein (auch Marktreset genannt), macht das natürlich nur Sinn wenn man auch das passende Erz rauskauft. Sonst kaufen die Leute das Erz billig ein und unterbieten meine Barren sofort. Es geht also auch darum, einen Markt zu dominieren. Das ist, je nach Servergröße, einfacher oder schwerer. Auf großen Servern mit vielen Tausend Spielern ist es schwer, den Markt dauerhaft zu kontrollieren weil das Angebot einfach zu groß ist. Allerdings kaufen dort auch mehr Leute, wohingegen auf einem Low-Pop-Realm (ein Server mit niedriger Population) einfach weniger Nachfrage herrscht. Beides ist nicht ganz ideal, aber man muss seinen Server eben kennen.
Man kann sich auf verschiedene Arten von Waren spezialisieren und dazu hat er auch verschiedene Händler interviewt.
Der Klassiker sind Handwerksmaterialien, die eigentlich immer gehen aber meist in großer Stückzahl gehandelt werden. Farmt man sie selber oder kauft man alles raus und versucht dem Server seine eigenen Preise aufzuzwingen?
Eine andere Möglichkeit ist Transmog-Handel, also der Handel mit Ausrüstung, die besonders cool oder speziell aussieht. Man verkauft nicht wirklich viel und die Gebühren sind recht hoch, doch die Preise sind zum Teil auch enorm.
Kampfhaustiere verkaufen sich ebenfalls, jedoch ist auch dieser Markt sehr umkämpft. Will man dort das meiste rausholen, sollte das Haustier schon auf Level 25 sein, was einen ziemlichen Zeitaufwand bedeutet.
Außerdem gibt es noch die High-Value-Items, also besonders teure Dinge wie aktuelle Ausrüstung aus Raids oder Reittiere. Diese erzielen enorme Preise, brauchen aber auch am längsten, bis sie mal einer kauft.

Wahnsinn. Eine völlig andere Herangehensweise als ich sie bisher hatte. Das sind nur die offensichtlichsten Möglichkeiten, an Gold zu kommen. Ich versuchte mich also mal an einigen Haustieren und altem Transmog-Zeug, das ich noch hatte. Nun ja, was soll ich sagen, dass meiste habe ich mittlerweile verkauft aber es dauerte ewig und war recht unbefriedigend. Also wagte ich mal eine Investition. Für die Allianz ist es nicht möglich, eines der neuen Hyänen-Reittiere zu bekommen, außer es wird von Gegnern fallen gelassen. Entsprechend selten sind die Teile im Auktionshaus. Ich hatte aber schon lange ein Auge auf das Mount geworfen und den Preis beobachtet. 800-900k Gold. Ich fiel bald aus allen Wolken als ich plötzlich eine Hyäne für 440k Gold im Auktionshaus entdeckte. Gekauft. Die Ausgabe tat weh, versprach aber, sich zu verdoppeln. Najaaaaaaa... Ich habe das Geld wieder drin, dass ist die gute Nachricht. Aber die Hyäne habe ich immer noch und ihr Preis ist mittlerweile auf 500k abgesackt. Ein Spieler schrieb mich an und fragte, ob er sie mir für 300k abkaufen könne. Ich musste verneinen, das wäre ja ein mächtiger Verlust gewesen! Also steht sie weiterhin im Auktionshaus. Einige teure Ausrüstung habe ich allerdings mit gutem Gewinn verkaufen können, doch auch das dauerte. Also High-Value-Items sind auch nicht meins.
Blieben also Handwerksmaterialien. Der Markt für Kräuter und Erze ist mächtig überlaufen, doch man wird sein Zeug gut los. Ich könnte die Erze mit meinem Juwelier klein machen und hoffen, einige gute Steine daraus zu schleifen. Leider gibt es über 10 verschiedene Steine, von denen sich nur 2 wirklich gut verkaufen. Also Verlust. Mit meinem Alchemisten könnte ich Tränke und Fläschchen herstellen, sowas wird immer gebraucht. Doch liegen die Herstellungskosten derzeit weit über den Preisen im Auktionshaus, warum sollte ich das also machen? Also verkaufte ich Rohmaterialien und das funktionierte super.

Mein Youtuber machte mir außerdem deutlich, dass man zwar seinen Kram immer im Auktionshaus abkippen kann, unter Umständen aber weniger verdient. Verkaufe ich meine Kräuter zum Beispiel am Wochenende, wo mehr Leute farmen, macht das natürlich weniger Sinn als am Mittwoch, wo die Vorräte vom Wochenende aufgebraucht sind und die Leute einen erhöhten Bedarf haben, da die Raids wieder losgehen. Antizyklisches kaufen und verkaufen. Ich war total erschlagen. Er erklärte außerdem die sogenannten Shuffle, also das Umwandeln von Material über verschiedene Berufe. So kann man beispielsweise Geistereisenerz aus Pandaria in Barren umwandeln, die man als Alchemist in Trilliumbarren umwandeln kann, aus denen man Lebendigen Stahl herstellt. Man braucht ca 200 Geistereisen, welches an guten Tagen für 3-4 Gold pro Stück erhältlich ist. Ein Lebendiger Stahl kostet bei uns auf dem Server derzeit um die 2000 Gold. Gewinnchance? Na aber! Shufflen ist super, man braucht nur Glück. Er hat auf seinem Charakter mehrere tausend Geistereisenerz gelagert, da das Zeug mal sehr billig zu haben war.

So zeichnete sich also ab, dass ich eher durch das Farmen zu Gold kommen würde. Wer farmen möchte, der sollte sich mal mit Multiboxen auseinandersetzen. Dabei steuert man mehrere Charaktere gleichzeitig und synchron. Farmst du ein Erz, farme ich in der selben Zeit zwei! Der Gedanke ist einleuchtend. Ich dachte immer, jeder Charakter braucht seinen eigenen PC, da man ja schließlich World of Warcraft laufen lassen muss. Das mag früher so gewesen sein, heute gibt es dank leistungsstärkerer Rechner eine Software, die mehrere Accounts gleichzeitig laufen lassen kann. Man muss natürlich an den Unterhalt denken. Ein Account kostet 13€ im Monat, die Software ca 45€ im Jahr. Die Erstanschaffung für den 2. World of Warcraft Account darf man auch nicht vergessen. Die Software und die Erstanschaffung kann man nicht umgehen, das muss man nunmal investieren wenn man multiboxen möchte. Aber die Gebühren für den 2. Account kann man über Gold bezahlen und hat zumindest diese Kosten nicht. Also legte ich mir das alles zu und es macht richtig Spaß! Klar, die Steuerung ist umständlicher und voller Fehlerquellen, die man bedenken muss, aber der Ertrag ist deutlich höher. So hatte ich in einer Woche das Gold für einen Monat Spielzeit zusammen, etwa 178k Gold. Wenn man das durchzieht, ergibt das je nach Ertrag und Auktionshauspreisen ungefähr eine halbe Millionen Gold im Monat! Krass.

Das ist natürlich alles recht trocken und abstrakt und wer bis hierhin gelesen hat, Respekt! Aber wenn man erstmal im Thema drin steckt, ist das Ganze mega spannend und macht echt Laune. Reich sein ist cool und reich werden macht echt Spaß! Um das Ganze besser nachvollziehen zu können, habe ich mir Exceltabellen mit Diagrammen angelegt und die sind schon recht aufschlussreich.
Ein abschließendes Beispiel noch: der Autkionshaushandel ist also nicht so wirklich meins, dass spekulieren funktioniert bei mir nur bedingt. Doch im Oktober habe ich mir den Ingame-Kalender angeschaut und gesehen: im Dezember kommt ja wieder das Winterhauchfest, also Weihnachten in Azeroth. Dort brauchen die Leute Lebkuchen, für die man kleine Eier braucht. Kaum jemand farmt die gern, denn Vögel in den Stargebieten umhauen ist lahm. Also habe ich seit Oktober alle kleinen Eier aus dem Auktionshaus rausgekauft, meist für wenige Silber das Stück. Durch diese künstliche Verknappung stieg der Preis bis auf 60 Gold pro Ei, was sich aber nicht durchsetzte. Als das Winterhauchfest dann kam, stellte ich die ca 300 kleinen Eier in 5er Stapeln zu je 95 Gold ins Auktionshaus. Nach einem halben Tag waren alle weg. Sicher haben die Leute sie dann für noch mehr reingestellt, doch ich habe meinen großen Gewinn gemacht und bin damit zufrieden. Eine kleine Erfolgsgeschichte, die zeigt, dass ich bei den ganzen Videos doch etwas gelernt habe.
Kenne die Möglichkeiten!

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